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VDachten

Eine Meldung aus der 'ach, hätte uns da doch nur jemand gewarnt'-Ecke: Es gibt ein neues Gutachten des wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, was an der rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung zweifelt

Dazu mal ein kleiner Ausflug in die Geschichte der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Die Idee, Daten aller Bürger vorzuhalten, für den Fall, dass ein paar davon irgend etwas Unerlaubtes tun könnten, ist schon älter. Dummerweise hat bei einem ersten Anlauf aber wohl der Bundestag es abgelehnt, so ein Gesetz zu erlassen (hab ich zumindest gelesen). Danach sind die damals Regierenden nach Brüssel gezogen und haben dort dafür getrommelt, dass eine verdachtslose Speicherung der Daten Aller irgendwas Positives bringen müsste. Beweise gab und gibt es für diese Behauptung zwar nicht, aber die EU hat den Wunsch in eine Richtlinie gepackt, die dann alle Länder verpflichtete, entsprechende Gesetze zu erlassen. Die Verbindungsdaten aller Bürger sollten demnach zwischen sechs Monaten und zwei Jahren gespeichert werden, für den Fall, dass irgendwer aus irgendeinem Grund die sehen wollen würde. 

Dagegen haben sich dann Bürger gewehrt, und haben Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Verfassungsrichter haben sich das Gesetz dann angesehen, und die gesamte Umsetzung einkassiert, weil weder die Daten irgendwie gesichert wurden, noch eine reihe weiterer, simpler Anforderungen erfüllt wurden. Das war, wenn ich mich gerade nicht irre 2011. Damit hatte Deutschland trotz Richtlinie kein Gesetz, mit dem die Vorratsdatenspeicherung umgesetzt wurde, und es gab dank einer einzelnen Ministerin in der damaligen Regierung (Sabine Leutheuser-Schnarrenberger) auch keine Bestrebungen für ein neues Gesetz. Die EU hat zwar mit Vertragsverletzungsverfahren gedroht, aber die Mühlen der europäischen Justiz mahlen noch langsamer als die der deutschen Justiz. Und so kam es, dass die Richtlinie selbst 2014 vor dem Europäischen Gerichtshof stand, der sie prompt einkassiert hat, weil eine verdachtslose Speicherung aller Daten aller Bürger nicht mit den europäischen Grundrechten vereinbar wäre. Und zwar konkret nicht so sehr wegen der Speicherung aller Daten, sondern wegen der Verdachtslosigkeit.

2015 hatten wir also die interessante Situation, dass es keine Vorratsdatenspeicherung gab, aber eben auch gar keine Richtlinie mehr, die sie von außen vorgeschrieben hätte. Trotzdem entblödete sich der Innenminister, Maiziere, nicht, ständig nach der verdachtslosen Speicherung der Daten aller Bürger zu verlangen, weil das ja irgendwas helfen würde. Dass er dabei völlig ignoriert hat, dass auch der EU nie ein Beweis positiver Wirkungen der Speicherung gelungen ist, hat Maiziere dabei glatt mal ignoriert. Und dank einem SPD-Parteichef (irgendwas mit Gabriel und Sigmar), hat der SPD-Minister für Vorratsjustiz das geten, wofür die Spezialdemokraten lange berühmt sind und verraten. Ergebnis war, dass seit Ende 2015 ein Gesetz zur "Höchstspeicherfrist" von mindestens(!) 10 Wochen für alle Verbindungsdaten gilt, mit Ausnahme von E-Mails. Weil, wenn E-Mails ausgenommen wären, wäre das irgendwie kein Bruch des EuGH-Urteils, meinte das Justizministerium.

2016 hat nun erneut der EuGH sich mit verdachtsfreien Vorratsdatenspeicherungen befasst, und zwei konkrete Ländergesetze als Verstoß gegen die europäischen Regeln befunden. Da war nur leider das deutsche Gesetz nicht mit bei, weswegen das Justizministerium nach der klaren Ansage des Gerichts (verdachtsfreie Speicherung geht nicht, weil sie verdachtsfrei ist) immer noch behaupten konnte, dass das deutsche Gesetz zur verdachtsfreien Speicherung der Daten aller Bürger irgendwie zu dem Urteil passen würde.

Genau mit der Frage hat sich nun also der wissenschaftliche Dienst des Bundestages befasst, und das Ergebnis dürfte nur das Justizministerium in dessen Führungsebene überraschen: Nein, das deutsche Gesetz zur verdachtsfreien Speicherung der Verbindungsdaten aller Bürger passt nicht u einem Urteil des EuGH, in dem verdachtsfreie Speicherung der Verbindungsdaten aller Bürger ob der Verdachtsfreiheit für illegal erkannt wird. Ich gehe nicht davon aus, dass Innen- oder Justizministerium aus dem Gutachten irgendwelche Konsequenzen ziehen werden. Und so bleibt wieder nur die Hoffnung, dass Richter die verfassungs- und EU-Grundrechtswidrigen Gesetze irgendwann einkassieren.

Dass die Verfassungsbrecher danach für ihre Verfassungsbrüche bestraft würden, ist nur eine Hoffnung, die mich immer wieder mal befällt. Wo die Bundesregierung doch neulich beschlossen hat, dass "Gefährder", also potenzielle Störer, mit Bewegungstracking-Geräten überwacht werden sollen: Wann wird den Störern aus der Regierung, also so ziemlich allen Personen auf der Regierungsbank derartige Überwachung zuteil? Immerhin kann ein möglicer "Terrorist" mit einem Anschlag nur ein paar hundert Personen ihres Lebens berauben, die Regierung raubt aber mal eben mit einem Gesetz Millionen Personen ihre Freiheit.